„Viele unserer Abgeordneten sind regelmäßig in den Kindertagesstätten in ihren Wahlkreisen unterwegs und machen sich ein Bild von den Rahmenbedingungen vor Ort.“ So steht es schwarz auf weiß in einer Antwort von Lothar Bienst, dem schulpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion an die Graswurzelinitiative. Natürlich schaut sich auch Herr Bienst regelmäßig in den Kitas seines Wahlkreises um. Doch ob er bei diesen Kurzbesuchen ein realistisches Bild von der enormen Arbeitsbelastung bekommt, die auf den Schultern der Erzieherinnen und Erzieher in Sachsens Kita lastet?
Genau diese Frage stellten sich Ilona Pfuhl, die Leiterin der Kita Gummistiefelchens in Uhsmannsdorf in Rothenburg/Oberlausitz, und ihr Team. Ihre Antwort fällt eindeutig aus: Ein realistisches Bild bekommt nur, wer drei Monate als Praktikant in der Kita mitarbeitet. Gesagt getan. Am 29. August 2014 erhielt Lothar Bienst bei einer Protestveranstaltung gegen den miserablen Betreuungsschlüssel in den sächsischen Kitas vom Team der Gummistiefelchen auf dem Markt in Rothenburg eine Einladung zum Praktikum. „Er hat der Erzieherin Birgit Weiß mit Handschlag versprochen, dass er drei Tage bei uns mitarbeitet und zwar neun Stunden lang; von 6 Uhr bis zum Feierabend“, erinnert sich Ilona Pfuhl. Zum Neujahrsempfang der Stadt Rothenburg im Januar diesen Jahres kamen der CDU-Politiker und die Kitaleiterin erneut ins Gespräch. „Herr Bienst kam auf mich zu und sagte: Frau Pfuhl, ich habe Sie nicht vergessen, ich hatte nur noch keine Zeit.“ Die Antwort der Kitaleiterin fiel entsprechend aus: „Sehen Sie Herr Bienst, so geht es mir auch.“
Wir machen diesen Fall an dieser Stelle öffentlich, weil wir davon ausgehen, dass Herr Bienst bis Ende März 2017 sein Drei-Tage-Praktikum bei den Gummistiefelchen antritt, damit der oben zitierte Satz „Viele unserer Abgeordneten sind regelmäßig in den Kindertagesstätten in ihren Wahlkreisen unterwegs und machen sich ein Bild von den Rahmenbedingungen vor Ort“ nicht zur Farce wird. Die Beschreibung des Praktikumsplatzes findet sich unter diesem Link.
„Wir haben extra die kalten Monate von Oktober bis März gewählt, da der Arbeitsaufwand, ich denke nur an die Bekleidung, dann größer ist und der erhöhte Krankenstand unsere Personalsituation noch einmal zusätzlich verschärft“, sagt die Kita-Leiterin. Zudem soll sich Herr Bienst einmal ein Bild davon machen, was es für 18 Kinder bedeutet (Würde? Kindeswohl?), wenn diese von nur einer Erzieherin angezogen werden. Und was erwartet Herr Bienst beim Drei-Tage-Praktikum noch? „Von Windelwechseln bis Vorlesen ist alles dabei“, sagt Ilona Pfuhl. Sie ist sich sicher, dass Herr Bienst nach den drei Tagen eine gutes Bild von den Rahmenbedingungen vor Ort bekommt.