Jens Kluge, Sprecher des Graswurzelbüdnisses „Die bessere Kita“, redet nicht lange um den heißen Brei herum: „Jetzt, mitten in der zweiten Welle, zeigt sich, dass das an die Eltern mit Kindern in der Kindertagesbetreuung gerichtete vollmundige Versprechen der Politik, Kitas und Schulen solange wie möglich offen halten zu wollen, sich als nicht haltbar herausstellt. Immer mehr Kitas müssen Gruppen schließen, Personal wird in Quarantäne geschickt, Träger und Einrichtungsleitungen sind überfordert mit immer neuen Regeln, die in der Regel als weitergeleitete Mail in den Einrichtungen landen.“
Der Leiter einer großen Kita in Zwickau verweist konkret auf die am 3. November vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus (SMK) veröffentlichte „Handlungsanleitung für die Praxis zur Umsetzung des Regelbetriebes in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen unter verschärften Corona-Schutzmaßnahmen“. Entwickelt wurde die Handlungsanleitung mit der Kita-Ad-hoc-AG des SMK, der offensichtlich immer noch keine Praxisvertreter angehören.
„Als ich das gelesen habe, hat es mir den Atem verschlagen“, macht Jens Kluge deutlich. Fernab der Realität gehe man im SMK offensichtlich immer noch davon aus, die Kitas würden derzeit im Normalbetrieb arbeiten. So heißt es in der Handlungsanleitung auf der ersten Seite wortwörtlich: „Daher ist es möglich, auch unter den gegebenen Umständen ein Höchstmaß an qualitativ und quantitativ hochwerter Bildung und Betreuung, die dem Sächsischen Bildungsplan folgt, zu gewährleisten.“
Jens Kluge kann solche Aussagen nur mit einem Kopfschütteln quittieren: „Aufgrund des schlechten Personalschlüssels und des Mangels an Erzieherinnen und Erziehern waren immer mehr Kitas in Sachsen schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie nicht in der Lage, den hohen Ansprüchen des Sächsischen Bildungsplanes gerecht zu werden.“ Die aktuelle Einschätzung erinnert ihn an die Durchhalteparolen in den letzten Monaten der DDR. Unter den Fachkräften werde der Frust immer größer.
Dabei hatte Kultusminister Christian Piwarz erst vergangene Woche in zwei Interviews mit der „Sächsischen Zeitung“ und der „Freien Presse“ eingeräumt, dass sich Sachsen beim Betreuungsschlüssel deutschlandweit im hinteren Bereich befindet. „Wir hatten diese Einschätzung wohlwollend zur Kenntnis genommen“, so Jens Kluge, schließlich habe der Minister bei Kritik am Betreuungsschlüssel – die unter anderem auch von der Bertelsmann Stiftung immer wieder geäußert wird – als Rechtfertigung in der Vergangenheit immer wieder auf die hohe Betreuungsquote im Freistaat verwiesen.
„Die Corona-Pandemie hat das schlechte Fachkraft-Kind-Verhältnis in den sächsischen Kitas noch einmal zusätzlich verschärft“, so Jens Kluge weiter. Die Fachkräfte in den Kitas machen geduldig ihren Job, die Träger rufen nicht nach der Bundeswehr zur Unterstützung, die Vertreter des Sächsischen Städte- und Gemeindetages und des Sächsischen Landkreistages bringen öffentlich keine eigenen Ideen zur Verbesserung der Situation in den Kitas ein. „Umso ärgerlicher ist es, dass die Handlungsanweisung des SMK voller Forderungen steckt. Es ist „fortzuschreiben“, „einzuhalten, „zu dokumentieren“, es muss „unbedingt ermöglicht werden“ und es ist „regelmässig zu lüften““, so Jens Kluge weiter.
Dazu kommen die bekannten Probleme bei der Nachverfolgung der Infektionsketten durch die örtlichen Gesundheitsämter. „Mittlerweile soll es Kitas geben, die, nachdem sie vom Gesundheitsamt über nachgewiesene positive Coronafälle in der Einrichtung informiert wurden, mehrere Tage drauf gewartet haben, bis sich jemand gemeldet hat, um das weitere Vorgehen zu besprechen. So unterbricht man Infektionsketten nicht“, sagt Jens Kluge. Wenn Kitas weiter geöffnet bleiben sollen, benötigten diese Unterstützung auf allen Ebenen und zwar nicht irgendwann sondern jetzt sofort. „In der Verantwortung sehe ich da neben dem Sächsischen Kultusministerium, die sächsischen Städte und Gemeinden sowie die Parteien, die in Sachsen derzeit die Regierungsverantwortung tragen“, so der Kitaleiter.