Überlastungsanzeige sächsischer ErzieherInnen juckt die Staatskanzlei herzlich wenig

Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig bekam während seiner Küchentischtour in Limbach-Oberfrohna einen Papiertiger von uns. Für Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) gab es beim Bürgerdialog in Plauen eine symbolische Überlastungsanzeige. Jens Kluge, Sprecher der Graswurzelinitiative, hatte diese dem Ministerpräsidenten übergeben. Das verwendete Formular ist ein ein Internet leicht zu findendes Muster (u.a. unter diesem Link) für sogenannte Überlastungsanzeigen von Mitarbeitern gegenüber ihren Vorgesetzten.

In einer Zeit, in der Kitas zunehmend zu „familiären Reparaturwerkstätten“ werden, sei eine Sicherstellung des Bildungsauftrages nicht mehr möglich, heißt es in dem Schreiben, das im Namen der „engagierten und wohlgesonnenen sächsischen Erzieherinnen & Erzieher, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, Heilerziehungspfleger und Heilpädagogen und weitere in Kitas beschäftigte Berufsgruppen“ überreicht wurde.

Zu solchen Gefährdungsanzeigen sind zum Beispiel Kitaleitungen gegenüber ihrem Träger verpflichtet, wenn sie feststellen beziehungsweise es absehbar ist, dass aus eigener Kraft die Arbeit nicht mehr so zu leisten ist, dass Schäden oder andere Vertragsverletzungen nicht ausgeschlossen werden können. Mit einer Überlastungsanzeige schützen sich die Beschäftigten zum Beispiel vor strafrechtlichen, arbeitsrechtlichen oder zivilrechtlichen Konsequenzen. Unterbleibt eine Überlastungsanzeige, so kann dies beim Auftreten von Schäden den Tatbestand „Verschulden durch Unterlassen“ nach sich ziehen.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter hat dazu extra Handlungsleitlinien herausgegeben. Ähnliche allerdings territorial bezogene Überlastungsanzeigen gab es bereits. Im März schickte die AWO Chemnitz eine Überlastungsanzeige an die sächsische Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU). Die Reaktion des Landesjugendamtes fasst ein Text der „Freien Presse“ gut zusammen.

Am 19. Mai erhielt die Graswurzelinitiative eine Antwort von Dr. Stephan Rohde, einem Abteilungsleiter der Staatskanzlei. Nach den üblichen Höflichkeitsfloskeln und der immer wieder vorgebrachten Aufschlüsselung, wieviel Geld der Freistaat in die nach Dr. Rohdes Einschätzung „qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung“ steckt, kommt ein Absatz, der für ErzieherInnen, LeiterInnen, Träger und die Eltern abermals ein Schlag ins Gesicht ist:

„Den Trägern der Einrichtungen obliegt es, unter diesen Voraussetzungen (gemeint ist das jährlich vom Freistaat zur Verfügung gestellte Geld, Anm. d. Red.) eine qualitativ hohe Betreuung anzubieten. Das schließt ein, die Personalsituation in Kindergärten und Krippen dementsprechend zu gestalten. Natürlich kann es im Einzelfall zu unvorhergesehenen Personalausfällen oder einem temporär erhöhten Arbeitsvolumen kommen. Doch auch hier sind die Träger der Kindertageseinrichtungen beziehungsweise deren Leiterinnen und Leiter in der Pflicht, sie zu koordinieren, um den reibungslosen Betrieb der Einrichtung zu gewährleisten.“

Wir wissen nicht, was noch passieren muss, damit die Verantwortlichen endlich einsehen, dass es sich bei der eklatant schlechten Personalsituation in den sächsischen Kitas nicht um ein temporäres, sondern ein strukturelles Problem handelt, für das allein die Regierungskoalition aus CDU und SPD die Verantwortung trägt.

Natürlich werden wir Dr. Rohdes Brief beantworten.

Aber natürlich kann auch jeder Einzelne aktiv werden.

Wir glauben, dass sich Hr. Dr. Rohde noch ein genaueres Bild zu den unerträglichen Zuständen in Sachsens Kitas machen möchte. ErzieherInnen und LeiterInnen, die gern etwas zu Papier bringen wollen, schicken dies bitte an post@sk.sachsen.de. Die Berichte können unter Umständen auch anonym verfasst werden, sollten aber so authentisch wie möglich sein. Selbstverständlich können sich gern auch die Eltern an die Staatskanzlei wenden. Der richtige Ansprechpartner, um an den Zuständen in den Kitas etwas zu ändern, sind aber die Landtagsabgeordneten von CDU und SPD vor Ort. Wer gern möchte, dass sein Bericht (gern auch anonym) auf dieser Homepage veröffentlicht wird, der lässt uns bitte eine Kopie zukommen.

Wir suchen noch eine oder mehrere Kitas, die Hr. Dr. Rohde und allen anderen interessierten Mitarbeitern der Staatskanzlei einmal einen realistischen Einblick in den Kitaalltag geben. Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen freut sich deshalb weiter über viele Anmeldungen zur Aktion Perspektivwechsel.