Klare Worte vom Chemnitzer AWO-Chef

Am 14. Dezember 2016, dem Tag also, an dem der Sächsische Landtag über den Haushalt des Sächsischen Kultusministeriums beriet, schrieb Jürgen Tautz, der Geschäftsführer des Arbeiterwohlfahrt Kreisverbandes Chemnitz und Umgebung, einen Brief an Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth. Eine Antwort auf den Brief hat Jürgen Tautz bis heute nicht erhalten, washalb er sich heute, am 23. Dezember 2016, dazu entschloss, den Brief zu veröffentlichen. Wir geben an dieser Stelle den komplette Wortlaut wieder.

 


Sehr geehrte Frau Staatsministerin Kurth,

 

mit Befremden habe ich Ihre Presseerklärung vom 29.11.2016 zu den Aktionen der Graswurzelinitiative zur Verbesserung der Rahmenbedingungen in sächsischen Kindertagesstätten zur Kenntnis genommen.

 

Abgesehen davon, dass es sich bei den Aktionen um keinen Streik gehandelt hat, sind die Aussagen in dieser Presseerklärung schlichtweg zynisch. Sie verkennen die Tatsache, dass die Landesregierung Sachsens für die frühkindliche Bildung in Kindertagesstätten seit Jahren nicht das Erforderliche getan hat.

 

Wie sonst erklären Sie sich, dass der im Sächsischen Kindertagesstättengesetz festgeschriebene Personalschlüssel selbst nach der marginalen Verbesserung in dieser Legislaturperiode des Sächsischen Landtags bundesweit nach wie vor das Schlusslicht darstellt.

 

In der Praxis lässt sich dieser Personalschlüssel ohnehin nicht umsetzen, da das Personal nach Kind und Betreuungszeit berechnet wird, die Öffnungszeit der Einrichtungen aber darüber hinausgeht. Auch Urlaub, Krankheit und Weiterbildung bildet der Schlüssel nicht ab, ebenso nicht die notwendige Vor- und Nachbereitungszeit.

 

Wie soll der ambitionierte Sächsische Bildungsplan in den Kindertagesstätten unter diesen Bedingungen umgesetzt werden?

 

Tatsache und zugleich völlig paradox ist, dass Erzieherinnen und Erzieher gemeinsam mit Eltern in den Kindertagesstätten seit Jahren um Voraussetzungen kämpfen, dass sie ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen können, nämlich der Umsetzung des Sächsischen Bildungsplanes.

 

Indem Sie den Initiatoren der Aktionen am 29.11. und 06.12.16 „Parolen und unrealistische“ Forderungen“ unterstellen, attackieren Sie Eltern, Erzieherinnen und Erzieher und freie Träger von Kindertagesstätten, die sich dafür einsetzen, Rahmenbedingungen für frühkindliche Bildung in Kindertagesstätten zu schaffen, welche die Umsetzung des Sächsischen Bildungsplanes überhaupt erst ermöglichen. Die jahrelange Praxis, die Verantwortung für die Kindertagesstätten zwischen Land und Kommunen hin und her zu schieben, ist langsam unerträglich. Meines Wissens liegt die föderale Verantwortung für Bildungspolitik bei den Ländern, wenngleich die Betreuung in Kindertagesstätten eine Pflichtaufgabe der Kommunen ist. Es wäre also geboten, gemeinsam dafür zu sorgen, dass frühkindliche Bildung in Kindertagesstätten gelingen kann.

 

Wir verkennen nicht, dass der Freistaat durch die geringfügige Verbesserung des Personalschlüssels in den Kindertagesstätten mehr Geld als bisher ausgibt. Das reicht aber eben nicht aus, um die Kinder in den Kindertagesstätten gut auf ihrem Weg in die Schule und das Leben vorzubereiten – und Bildung beginnt eben nicht erst in der Schule, sondern im Kindergarten! Es gilt also, anders als bisher Prioritäten zu setzen, wenn es darum geht, wofür der Freistaat Steuermittel einsetzt.

 

Dass Menschen und Einrichtungen, die sich für Verbesserungen im Kita-Bereich engagieren, von der zuständigen Staatsministerin für ihr Engagement gerügt werden, ist für mich nicht nachvollziehbar.

 

Ich lade Sie gern in Kindertagesstätten in meinem Verantwortungsbereich ein. Sprechen Sie mit Elternvertretern, mit Erzieherinnen und Erziehern und Trägern, um die Realität kennenzulernen. Überzeugen Sie sich davon, dass es hier nicht um „unrealistische Forderungen“ geht, sondern darum, dass die Rahmenbedingungen in sächsischen Kindertagesstätten nicht mehr zu Lasten von Kindern und Eltern und auf Kosten der Gesundheit von Erzieherinnen und Erziehern gehen. Nehmen Sie sich bitte die Zeit, um zu verstehen, dass Bildung im Kindergartenalter die gleiche Aufmerksamkeit verdient, wie in der Schule.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

Jürgen Tautz

Geschäftsführer